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„Das Potenzial von Binnenhäfen haben wir am Beispiel unseres Ganzzugskonzepts im bayern­hafen Regensburg erkannt“

Interview mit Dieter Braun, Head of Supply Chain AUDI AG

Dieter Braun ist seit Oktober 2019 bei der AUDI AG für den Bereich „Supply Chain“ verantwortlich. In dieser Funktion steuert er die werke­übergreifenden Logistikprozesse, wie die Programmplanung, die internationale Logistik, die Vor­serienlogistik und die Transport­logistik. Zusätzlich trägt er die Verantwortung für die Supply Chain Planung und die Werk­logistikfunktionen. Nach dem Studium des Wirtschafts­ingenieurwesens an der Universität Karlsruhe begann Dieter Braun 1991 seine berufliche Laufbahn bei der AUDI AG am Standort Neckarsulm. Nach einer Station bei ­Volkswagen de México in Puebla kehrte er 2005 nach Neckarsulm zurück, wo er u.a. Leiter der Werklogistik war. 2016 wechselte er in die Baureihen­organisation an den Standort Ingolstadt, wo er als Vertreter des Geschäftsbereichs Produktion für alle Audi-Fahrzeuge mit Quer­motorisierung zuständig war. (Foto Audi AG)

kurs bayernhafen: Dekarbonisierung ist Ihr Anspruch für die gesamte Wertschöpfungskette der AUDI AG, Stichwort „Mission:Zero“. Welchen Anteil daran und welche Bedeutung dafür hat die Supply Chain?

Dieter Braun: Bei Audi haben wir uns das Ziel gesetzt, spätestens bis 2050 im gesamten Unternehmen bilanziell CO2-neutral zu sein. Mission:Zero, unser ganzheitliches Umwelt­programm für die Produktion und Logistik, umfasst vier Handlungsfelder: Dekarbonisierung, Ressourcen­effizienz, Wassernutzung und Bio­diversität.

Die Supply Chain spielt eine immer wichtigere Rolle bei der Dekarbonisierung. Wir planen, an all unseren Produktionsstandorten weltweit bis 2025 bilanziell CO2-neutral zu produzieren. Drei von fünf Standorten haben dieses Ziel bereits erreicht. Daher ist es im nächsten Schritt entscheidend, auch außerhalb der Werkstore die Dekarbonisierung voranzutreiben.

Unsere langfristige Roadmap konzentriert sich darauf, Transporte zum und vom Werk möglichst klimaschonend zu organisieren. Dabei gilt das Grundprinzip: Im ersten Schritt wollen wir Transporte vermeiden. Im zweiten Schritt „weg von der Straße, hin zur Schiene“, wo möglich. Und im letzten Schritt wollen wir die verbleibenden Lkw-Transporte dekarbonisieren mit neuen Transporttechnologien – wie beispielsweise biogene Kraftstoffe oder e-Lkw.

Mit Ihrem exklusiven Helrom-Ganzzug zwischen Regensburg und Lébény sichern Sie die Material­versorgung Ihrer drei Audi Standorte Ingolstadt, Neckarsulm und Gyo˝r. Welche technischen und infrastrukturellen Voraussetzungen haben Sie gemeinsam mit Ihren Partnern geschaffen, um diese Relation möglich zu machen?

Dieses Konzept ist unsere Antwort auf aktuelle Infrastruktur-Herausforderungen und ein Parade­­­beispiel für erfolgreiche Zusammen­­arbeit. Wir bei Audi mussten zunächst die technischen Kapazitäten an allen drei Standorten sowie bei über 50 unserer Lieferanten sicherstellen, d.h. wir haben die Transport­abwicklung auf die Anforderungen des Ganzzug­konzeptes angepasst, z.B. durch Zeitfenster entsprechend Zugabfahrt- und Zugankunftszeiten.

Sorgfältig geplant wurde die Zugauslastung, denn ein Ganzzug ist im Gegensatz zum Einzel­waggonverkehr nur dann wirtschaftlich, wenn er auch konstant ausgelastet ist. Trotz dieses Risikos haben wir die bewusste Entscheidung für Innovation getroffen und damit Mut bewiesen.

Für die tägliche Rundfahrt über 1.000 km musste technisch sichergestellt werden, dass wir den 700 m langen Zug in Deutschland und Ungarn rechtzeitig be- und entladen können. Dies bedeutet, dass die Terminals in der Nähe der Haupt­strecke – wie beispielsweise der bayernhafen Regensburg – für uns entsprechend aufbereitet und zur Verfügung gestellt werden konnte. Zudem war eine schnelle Be- und Entladung der Waggons notwendig. Dies erreichen wir mit der innovativen Umschlags­technologie von Helrom, die weder Kräne noch kranbare Trailer benötigt. Dies macht uns deut­lich flexibler und schneller.

Die bevorstehenden Sanierungen der Bahn­strecken in Deutschland werden jedoch weitere Herausforderungen mit sich bringen, für die wir intelligente Lösungen und Routen benötigen.

Setzt Audi bei Intermodalverbindungen auf Exklusivität oder sind für Sie auch gemischte Züge mit anderen, ggfs. sogar mit Wett­bewerbern, vorstellbar?

Wir setzen klar auf die Schiene – und dies in verschiedenen Formaten: Einzelwagenverkehr, Ganzzugverkehr oder Kombinierter Verkehr (KV). Können wir ausreichend Volumen für einen Ganzzug generieren, bevorzugen wir diesen. Denn Ganzzüge sind leichter zu steuern, robuster und haben weniger Schnittstellen. Letztlich streben wir an, den Schienenanteil insgesamt zu maximieren. Gemischte Züge mit Wettbewerbern schließen wir nicht aus, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.

Sichern Sie mit dem intermodalen Ganzzug auch Ihre just-in-time- und just-in-sequence-Anforderungen für die Produktion? Oder liefern Sie per Zug überwiegend zeitunkritisches Material?

In unserer Supply Chain verfolgen wir ein Gesamtoptimum zwischen Material- und Transport­steuerung. Die Sendungslaufzeiten der inter­modalen Ganz­zugs­abwicklung müssen mit den Lkw-Transporten synchronisiert und sehr zuverlässig eingehalten werden. Daher ist das Lagermaterial, das wir für die beiden Standorte Ingolstadt und Gyo˝r abwickeln, nicht unbedingt weniger zeitkritisch als die just-in-sequence ­(JIS)-Transporte.

Aber ja, tatsächlich haben wir für das Werk Neckarsulm durch eine stabilere Fahrzeug­reihen­folge auch eine sogenannte „long distance“- JIS-Anlieferung im Einsatz. In diesem Fall nutzen wir den intermodalen Zug auch für JIS-Transporte. Wir kombinieren also unsere Materialflüsse so flexibel, dass wir für jeden Standort die Belieferung nach den jeweils individuellen Anforderungen gestalten können.

Aktuell investiert Helrom im Braunschweiger Hafen, um VW-Verkehre abzuwickeln. Offen­sichtlich ist der Hafen für Ihren Konzern von Relevanz. Haben Sie bereits das Potenzial von Binnen­häfen für intermodalen Verkehr auf dem Radar? Und was sollte aus Ihrer Sicht von Hafenseite getan werden, um diese Sichtbarkeit und Bedeutung für die verladende Industrie zu steigern?

Mit einem Lkw fahren wir heute vom Lieferanten auf direktem Weg punktgenau ins Werk. Mit der Schiene können es gerne mal zwei-, dreihundert Kilometer Umweg sein. Bezogen auf Deutschland muss die Schieneninfrastruktur auf jeden Fall noch weiter verbessert und ausgebaut werden.
Das Potenzial von Binnenhäfen haben wir am Beispiel unseres Ganzzugskonzepts im bayern­hafen Regensburg erkannt. Bei den Trans­port­­konzepten trimodaler Häfen sollte auf jeden Fall die Flexibilität hervorgehoben werden, denn intermodale Abwicklungen über Hafen­terminals müssen nicht immer die Nutzung von Schiffen beinhalten. Dies muss der Industrie durch Positivbeispiele wie unser Ganzzugkonzept aber erst noch bewusster werden. Kurzum: Binnen­häfen erweitern die Auswahl an Um­schlags­­punkten und sind für uns in Bezug auf Posi­tionierung und Lage entscheidend.

Planen Sie mittel- und langfristig weitere Relationen im Kombinierten Verkehr / im Intermodalverkehr?

Parallel zur Helrom-Verbindung haben wir noch eine weitere KV-Relation auf der Nord-Süd-Achse in Betrieb genommen, allerdings mit konventioneller Terminaltechnik. Aktuell planen wir, dieses Konzept nach Osteuropa zu skalieren. Da ist Helrom auch ein Kandidat. Aber wir werden es wieder am Markt platzieren. Mehr kann ich derzeit nicht sagen.

Wir streben mittel- bis langfristig einen Modal­split zwischen Straße und Schiene von annähernd 50% in den Inbound-Verkehren an, das heißt in den Materialtransporten zu unseren Werken. Der Kombinierte Verkehr bleibt daher weiterhin klar im Fokus. Wir nutzen die Bahn für lange Strecken, um den Schienenanteil schrittweise zu erhöhen, und setzen im Vor- und Nachlauf auf die Flexibilität von Lkw.

Natürlich werden wir nicht all unsere Verkehre auf die Schiene verlagern können. Der Lkw bleibt unverzichtbar, auch auf längeren Distanzen. Wir beobachten einen Trend zur E-Mobilität, aber die Serienreife ist dort noch nicht erreicht. Daher setzen wir auf biogene Kraftstoffe als wichtige Brückentechnologie, um jetzt zu handeln und zu dekarbonisieren – nicht erst gegen Ende des Jahrzehnts, wenn der e-Lkw voraussichtlich flächendeckend zum Einsatz kommen wird.