Interview mit Professor Dr.-Ing. Norbert Gebbeken, Präsident der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau
„Bei Infrastruktur geht es ums Gemeinwohl – und wir Ingenieure finden die Lösungen dafür“
Infrastruktur – ein sperriges Wort. Doch kaum etwas hat in unserer Gesellschaft eine solch große Bedeutung für unseren Wohlstand und unser Miteinander. Was macht Infrastruktur so essentiell? Fragen an Professor Dr. Norbert Gebbeken,
Präsident der Bayerischen Ingenieurekammer-Bau und damit einer der erfahrensten Infrastruktur-Planer und Infrastrukturbauer Bayerns.
Unser Gemeinwesen fußt auf Wirtschaftskraft und sozialem Miteinander. Beides erfordert technische Infrastruktur wie Verkehrswege, Energieversorgung, Ver- und Entsorgung, Kommunikation etc. Warum ist die technische Infrastruktur aus Ihrer Sicht ein Schlüssel zu Wohlstand und Lebensqualität in unserer Gesellschaft?
Norbert Gebbeken: Wir Menschen haben Grundbedürfnisse wie Nahrung, Trinkwasser, Wärme, ein Dach über dem Kopf, Beschäftigung, soziales Miteinander und medizinische Versorgung. All das geht nur mit technischer Infrastruktur. So müssen jede Wohnung und jedes Gebäude mit Energie, Wärme, IT-Infrastruktur und sauberem Wasser versorgt werden. Abwasser und Müll wiederum müssen entsorgt und wiederaufbereitet werden – auf der Basis hoher Hygienestandards. Zudem brauchen wir eine sichere und funktionierende Mobilitäts-Infrastruktur – nur so können wir einander begegnen und am gesellschaftlichen Leben teilhaben.
Auch Handel und Wirtschaft sind nur mit Transport-Infrastruktur möglich: Wie sonst kämen wir zu unserer Frühstückssemmel, unserem Laptop oder Fahrrad? Das gilt besonders in unserer globalen Welt. Kurzum: Nur weil es technische Infrastrukturen gibt, sind gesellschaftliches Leben und florierende Wirtschaft möglich – und diese benötigen wir, damit wir uns unseren Lebensstandard und die sozialen Infrastrukturen wie Kindergärten, Schulen, Seniorenheime, Krankenhäuser oder Theater überhaupt leisten können. Infrastruktur ist das Fundament unseres Miteinanders.
Damit technische Infrastruktur dauerhaft ihre Funktion erfüllt, muss sie instand gehalten, bei Bedarf erweitert werden. Die dafür erforderlichen Genehmigungsprozesse dauern heute oft Jahre. Was muss nach Ihrer Auffassung getan werden, damit dies schneller geht?
Den Bauämtern und Genehmigungsbehörden fehlt es an Personal, vor allem an technischem Personal. Das müsste dringend aufgestockt werden, was bei nahezu Vollbeschäftigung schwierig ist. Deshalb müssen die Genehmigungsprozesse vereinfacht werden, insbesondere für Ersatzneubauten: zum Beispiel mit einem ersten Vollständigkeits-Check. Auch eine „Stichtags-Regelung“ kann sinnvoll sein: Wird zum Beispiel nicht binnen drei Monaten Widerspruch gegen ein Bauvorhaben eingelegt, gilt der Bauantrag als genehmigt. Zudem sollten die Genehmigungsprozesse digitalisiert werden, was mehr Tempo in der Bearbeitung bringt. So könnte zum Beispiel die Vollständigkeitsprüfung des Bauantrages von Ersatzneubauten nach klar definierten Regeln automatisiert durchgeführt werden. Dies schafft Kapazitäten beim Fachpersonal, das dann mehr Zeit zur Prüfung anderer Projekte hat. So kann künstliche Intelligenz helfen, strukturierte Prozesse vollständig digital zu erledigen. Klar benötigen Infrastruktur-Ersatzneubauten immer ein paar Jahre, aber ob es fünf oder nur drei Jahre bis zur Genehmigung sind, macht eben einen Unterschied.
Hafeninfrastruktur sorgt an den bayernhafen Standorten dafür, dass die drei Verkehrsträger Binnenschiff, Bahn und Lkw effizient verknüpft werden. Hafeninfrastruktur leistet damit einen wesentlichen Beitrag zur Versorgung unserer Regionen und zu erfolgreichen Import- und Exportaktivitäten bayerischer Unternehmen. Dennoch werden Projekte zur Modernisierung oder Erweiterung von Hafeninfrastruktur im Umfeld immer wieder kontrovers diskutiert – an Binnenhafen-Standorten, die schon viele Jahrzehnte da sind. Was sollten Kritiker der Modernisierung oder Erweiterung von Hafeninfrastruktur aus Ihrer Sicht immer bedenken?
Die Kritiker sollten immer bedenken: Unser Wohlstand beruht auf einer funktionierenden technischen Infrastruktur, die auf dem neuesten Stand sein muss. Wir bauen nicht, weil wir Kies auf dem Hof haben, wir bauen, weil die Gesellschaft Forderungen an uns stellt, weil sie versorgt werden will. Nehmen Sie das Beispiel einer Umgehungsstraße: Diese nimmt Verkehr aus einer Gemeinde, schützt die Kinder, vermeidet Lärm und Abgase. Bei Infrastruktur geht es ums Gemeinwohl – und wir Ingenieure finden die Lösungen dafür. Zudem werden Bestandsinfrastrukturen durch Sanierung meist effizienter, ökologischer und nachhaltiger. Jede Sanierung ist die Chance, z.B. ein Gebäude multifunktionaler zu machen: durch eine Fotovoltaik-Fassade, eine Dachbegrünung oder mehr Energieeffizienz. Ich plädiere dafür, die Bürger früh zu informieren und sie mit einzubeziehen, damit sie sich einbringen können. Häufig führt das zu deutlich weniger Konflikten und noch besseren Lösungen – und diese noch besseren Lösungen eröffnen uns auch wieder
Exportchancen.
Wer Infrastruktur auf bestehenden Flächen modernisiert oder erweitert, statt auf der grünen Wiese neu zu bauen, geht schonend mit Fläche um. Ein Gebot der Nachhaltigkeit. Worauf kommt es nach Ihrer Meinung bei der permanenten Anpassung und Optimierung von Bestandsinfrastruktur an?
Die Anpassung und Optimierung von Bestandsinfrastruktur ist im Regelfall besser als der Neubau auf der grünen Wiese. Wir haben hier die große Chance, Wirtschaft und Ökologie zusammenzubringen, wovon am Ende alle profitieren. Denn einerseits müssen Unternehmen wirtschaftlich sein, andererseits wollen und müssen wir unsere natürlichen Lebensgrundlagen erhalten. Wirtschaft und Ökologie gehören daher zusammen wie die zwei Seiten eines Blattes Papier. Mit dieser Grundhaltung haben wir auch die Bevölkerung auf unserer Seite. Als Ingenieure sind wir Dienstleister der Gesellschaft – und das gegenseitige Verständnis füreinander macht uns als Gesellschaft noch stärker.
Soziale Infrastrukturen wie Kindergärten, Schulen oder Theater werden in aller Regel positiv wahrgenommen, technische Infrastrukturen wie Verkehrsanlagen, Energienetze usw. eher negativ. Woran liegt das Ihrer Meinung nach? Und was kann man tun, um die Akzeptanz technischer Infrastrukturen zu steigern?
Das liegt an der Wahrnehmung. Wir nehmen vor allem das wahr, was wir häufig wiederkehrend erleben: Schule, Kindergarten, Bäcker, Krankenhaus, Sporthalle etc. Die technischen Infrastrukturen, die fürs Funktionieren der sozialen Infrastrukturen sorgen, sind ja oft versteckt, wie Kabel, Leitungen, Abwasserkanäle … Wir fragen ja nicht ständig, wo das Wasser herkommt oder der Strom. Wir sind auch nicht täglich in einem Hafen. Das heißt, technische Infrastruktur ist meist unsichtbar und funktioniert in aller Regel. Nicht-Ingenieure nehmen sie meist erst dann wahr, wenn’s irgendwo mal hakt.
Umso wichtiger ist es, schon früh über die Bedeutung von Infrastruktur zu informieren: im Kindergarten, in der Schule, in den Ausbildungen, an den Hochschulen. Da wollen und müssen wir Schlüsselerlebnisse schaffen. Ein Studium Generale sollte verpflichtend sein, damit Studierende nicht-technischer Fächer technische Anteile hören. Als Bayerische Ingenieurekammer-Bau gehen wir seit einigen Jahren neue Wege, um Menschen zu erreichen. Für Schulkinder bieten wir den Lehrern Materialien für den Heimat- und Sachunterricht an. So können die Kinder beispielsweise mit unseren Bausätzen selbst Mauern oder Häuser bauen. Für die Erwachsenen haben wir eine Kooperation mit der Akademie für Politische Bildung in Tutzing. Wann immer wir Bau-Themen mit gesellschaftlicher Relevanz haben, gehen wir nach Tutzing. Dort diskutieren wir gemeinsam mit Vertretern aller gesellschaftlichen Gruppen. Wir haben damit sehr gute Erfahrung gemacht zum gegenseitigen Verständnis. Wir hören einander zu, bringen gegenseitige Wertschätzung mit ein, lassen Zusammenarbeit zu. Diese Öffnung bringt die Dinge weiter.