„Logistik ist immer Perlenkette“
Gespräch zur Nationalen Hafenstrategie mit Jens A. Scharner, Geschäftsführer der ROSTOCK PORT GmbH und Präsidiumsmitglied im Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe e. V. (ZDS), und Joachim Zimmermann, bayernhafen Geschäftsführer und Präsident des Bundesverbands Öffentlicher Binnenhäfen (BÖB)
Am 20. März 2024 beschloss das Bundeskabinett die Nationale Hafenstrategie – mit dem Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit der See- und Binnenhäfen zu stärken im Hinblick auf die vielfältigen Herausforderungen durch Transformationsprozesse, Klimawandel, den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine, die Folgen der Covid-19-Pandemie, den Brexit und die Veränderungen im Welthandel.
Die fünf Handlungsfelder der Nationalen Hafenstrategie sind: Wettbewerbsfähigkeit des Hafenstandorts Deutschland stärken, Häfen zu nachhaltigen Knotenpunkten für die Energiewende, eine klimaneutrale Schifffahrt und Industrie sowie zu Drehkreuzen für die Verkehrsverlagerung entwickeln, digitale Transformation voranbringen, Ausbildung und Beschäftigung heute sichern und zukunftsfähig gestalten sowie die Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur bedarfsgerecht erhalten, ausbauen und schützen.
Die Nationale Hafenstrategie weist den deutschen See- und Binnenhäfen wichtige Zukunftsaufgaben zu: im Bereich der Energiewende, der Transformation der Industrie, der Versorgungs- und Produktionssicherheit, der neuen Sicherheitsarchitektur im Rahmen der NATO-Mitgliedschaft und auch im Kampf gegen den Schmuggel illegaler Güter wie Drogen und Waffen.
kurs bayernhafen: Die deutschen See- und Binnenhäfen waren intensiv eingebunden in die Erstellung der Nationalen Hafenstrategie. Sind Sie zufrieden mit dem Ergebnis?
Jens A. Scharner: Ja und nein. Wir sind zufrieden, weil die Nationale Hafenstrategie die einzigartige Bedeutung der Häfen heraushebt. Die Seehäfen garantieren im Verbund mit der See- und Binnenschifffahrt und den trimodalen Binnenhäfen die Versorgungssicherheit in Deutschland und benachbarten Staaten. See- und Binnenhäfen sorgen dafür, dass Unternehmen und VerbraucherInnen Güter, Rohstoffe und Energie zuverlässig erhalten – und sie sind das Fundament der Exportnation Deutschland. Über 60 Prozent des deutschen Im- und Exports erfolgen auf dem Seeweg. Zudem stehen die See- und Binnenhäfen für Wertschöpfung und Arbeitsplätze weit über die Grenzen der jeweiligen Region hinaus. Dies erkennt die Nationale Hafenstrategie an und ergreift dringend benötigte Maßnahmen, um Häfen, Schifffahrt und Logistik im Wettbewerbs-, Genehmigungs- und Umweltrecht zu unterstützen.
Nicht zufrieden sind wir mit dem Finanzierungsvorbehalt: Weiterhin werden Häfen als Ländersache betrachtet. Das ist zu kurz gesprungen, denn See- und Binnenhäfen sind Teil des EINEN großen Logistiknetzes – und dieses Netz sichert Import und Export, sichert Energieströme, Wettbewerbsfähigkeit und Wertschöpfung vor Ort. Und, ja, dieses Logistiknetz sichert zivile UND militärische Lieferketten, Stichwort „dual use“. Deutschlands See- und Binnenhäfen liegen daher im nationalen Interesse – sie fit zu halten, darf nicht alleinige Aufgabe der Länder sein. Nationale Aufgaben müssen national finanziert werden.
Joachim Zimmermann: Ja, da bin ich mit Jens A. Scharner einig: See- und Binnenhäfen können nur gemeinsam gedacht werden. Logistik ist immer Perlenkette – die gibt’s nur als Ganzes. Die Nationale Hafenstrategie enthält wichtige Maßnahmen, um die Wettbewerbsfähigkeit unserer Hafenstandorte zu stärken. So sollen hafenaffine Flächen gesichert, Bürokratie abgebaut und Verfahren zur Genehmigung von Planung, Errichtung und Betrieb von Hafenanlagen beschleunigt werden. Dies begrüßen wir.
Aber diese ambitionierte Hafenpolitik gibt es natürlich nicht zum Nulltarif. Wir Binnenhäfen brauchen verlässliche finanzielle Zusagen der öffentlichen Hand. Zwei Themen sind mir da besonders wichtig: Trimodale Binnenhäfen vernetzen die drei Verkehrsträger Binnenschiff, Bahn und Lkw – sie treiben damit die Verkehrsverlagerung von der Straße auf Wasserstraße und Schiene voran. Die Bundesregierung hat beim Schienengüterfernverkehrsnetz-Förderungsgesetz (SGFFG) für Hafenbahnen Streichungen vorgenommen, diese sollten im Haushalt 2025 unbedingt zurückgenommen werden. Und ein zweites Thema: Wir brauchen dringend ein Bund-Länder-Förderprogramm für Sanierung und Ausbau wasserseitiger Infrastrukturen in den Binnenhäfen. Denn Kaikanten müssen da sein, wenn sie gebraucht werden. Bund und Länder müssen diese Vorhaben gemeinsam anpacken. So stärken sie die Binnenhäfen als Kraftzentren von Logistik, Versorgung, Wertschöpfung, guter Beschäftigung und Transformation. Wir Häfen sind kritische Infrastrukturen – und diese müssen in der Priorität ganz weit vorn stehen.
Hafeninfrastruktur soll lange halten. Die Welt dagegen ist permanent im Umbruch, ständig kommen neue Anforderungen. Wie passt das zusammen?
Jens A. Scharner: Ich möchte mit einem Vergleich aus der Forstwirtschaft antworten: Wir im Hafen denken und handeln wie ein Förster. Der sagt: „Ich pflanze heute an, damit meine Enkel die Bäume sehen.“ Hafeninfrastruktur muss über zwei / drei Generationen ihren Job machen. Dafür müssen wir heute planen, finanzieren und bauen.
In den 1960er Jahren war Rostock ein reiner Eisenbahnhafen. Schritt für Schritt sind wir gewachsen – und die Hafeninfrastruktur immer mit. Zu Beginn hatten wir zwölf Schiffsliegeplätze, heute sind es 40. Seit 1990 haben wir Hunderte Millionen Euro in unsere Hafeninfrastruktur investiert: zum Beispiel in die Anbindung an die DB-Netze und in ein neues Autoterminal. Die Flächenerschließung für das Autoterminal haben wir selbst bezahlt und innerhalb von zwei Jahren für den skandinavischen Markt erstellt, darüber laufen jetzt zu 80 Prozent batterieelektrische Fahrzeuge. Eines unter vielen Erfolgsbeispielen: Wir packen Projekte mit eigenen Investitionen an und ziehen das dann auch durch.
Joachim Zimmermann: Ja, für Hafeninfrastrukturen denken wir „von Hause aus“ immer in Jahrzehnten und grundsätzlich im Voraus. Ich will zwei Beispiele geben: 1962 starteten die Bauarbeiten am Main-Donau-Kanal, bereits lange im Vorfeld entschied sich die Stadt Nürnberg, eine Fläche von 330 ha für den Hafen Nürnberg zu reservieren, 1972 erreichte der Main-Donau-Kanal Nürnberg und der Hafen wurde zeitgleich eröffnet. Heute ist der trimodal angebundene bayernhafen Nürnberg längst das größte Güterverkehrszentrum Süddeutschlands. Diese Weitsicht, in solchen Dimensionen für die Zukunft zu denken, ist heute kaum mehr vorstellbar. Aber nur so entstehen zukunftsfähige Hafeninfrastrukturen, die kontinuierlich steigende Anforderungen an den Güterverkehr erfolgreich mitgehen. Nur folgerichtig wird seit Jahren in den Ausbau des KV-Terminals im bayernhafen Nürnberg investiert – im laufenden Betrieb, versteht sich.
Ein zweites Beispiel ist unser Trailerport im bayernhafen Regensburg. Den haben wir vorausschauend bereits 2019 errichtet, weil wir erkannt haben: Im Kombinierten Verkehr laufen Containerterminals bereits weltweit und auch im Seehafen-Hinterlandverkehr auf Hochtouren – was allerdings zu wenig Berücksichtigung fand, ist die Möglichkeit, Sattelauflieger und Wechselbrücken im kontinentalen Verkehr von und nach Bayern auf die Schiene umzuschlagen. Genau diese Lücke haben wir mit dem Trailerport geschlossen. Seit seiner Eröffnung verbindet ein Intermodalzug für die Zulieferung der Automobilindustrie den bayernhafen Regensburg mit Niedersachsen. Und seit April 2024 fährt der erste exklusive Helrom-Ganzzug täglich zwischen bayernhafen Regensburg und dem ungarischen Lébény. Die neue Helrom Trailer Rail Verbindung ist Teil der Logistikkette der AUDI AG und verbindet die Materialversorgung für die drei AUDI-Standorte Ingolstadt, Neckarsulm und Györ. Das Projekt ist eine Kooperation der AUDI AG, der Logistikgruppe Duvenbeck, bayernhafen und Helrom.
Was brauchen Deutschlands Häfen, damit sie auch im Jahr 2050 noch leistungsstark agieren können?
Jens A. Scharner: Ganz klar – Häfen brauchen Top-Rahmenbedingungen. Sie brauchen Platz, sie müssen wachsen können, und Seehäfen müssen perfekt mit den Binnenhäfen, deren Hafenbahnen und den Terminals im Hinterland verbunden sein. Nehmen wir ein Beispiel: Die Köhlbrandbrücke im Hafen Hamburg ist mit 3,6 km die zweitlängste Straßenbrücke Deutschlands, seit 23. September 1974 verbindet sie die Elbinsel Wilhelmsburg mit der Bundesautobahn 7. Diese Brücke kommt dem gesamten Logistiknetz Deutschlands zugute. GENAUSO im Fokus müssen die Häfen stehen. Logistik lebt von Vernetzung. Verkehrsinfrastruktur ist das Fundament unserer Volkswirtschaft, und ohne Fundament kam man kein Haus bauen. Kurzum: Die vorausschauende Finanzierung von See- und Binnenhäfen muss Prio 1 sein. Bund und Länder müssen dabei Hand in Hand arbeiten, „Zuständigkeitsgerangel“ ist nicht sachgemäß – und null hilfreich.
Joachim Zimmermann: Wir Häfen denken und handeln in logistischen Ketten, wir verbinden Verkehrstrassen zu einem krisenfesten Logistiknetz. Eine robuste Infrastruktur ist Daseinsvorsorge, denn sie garantiert Versorgungssicherheit. Und: Infrastruktur wird immer nur dann als Kernkompetenz unserer Volkswirtschaft wahrgenommen, wenn sie mal NICHT funktioniert.
Wir alle brauchen daher verlässliche UND dauerhafte finanzielle Zusagen für Investitionen in den Erhalt, den Ausbau und die Transformation von Häfen und Verkehrsinfrastrukturen. Denn um den modal split der Verkehrsträger Richtung Wasserstraße und Schiene zu verändern, müssen die Schnittstellen perfekt funktionieren. Wir Häfen sind wie die vierte Disziplin im Triathlon, die Wechselzone: Da sitzt jeder Handgriff, da funktioniert der Umschlag zwischen Schiff, Bahn und Lkw, und auch die Lagerflächen sind da. Zudem ist jeder Hafen ein Konjunkturprogramm: Gleisbau, Kaianlagenbau, Ansiedlung neuer Unternehmen etc. Entscheidend dafür ist, dass die Bauwirtschaft auch die Kapazitäten hat. Wir Häfen brauchen eine Transformation vom Fachkräftemangel zum Fachkräfteaufbau. Zu tun ist genug bei uns. Packen wir’s an!